Ahmadinedschad ist ein kleines Licht
Ahmadinedschad ist ein kleines Licht
Heute läuft das Uno-Ultimatum gegen Iran ab. Seit Monaten jagt dessen Präsident Ahmadinedschad dem Westen Angst ein. Doch er ist Einpeitscher, nicht Herr über das Atomprogramm. Inzwischen rumort es im Machtapparat.
Plötzlich spürt er dieses Licht um sich herum wie eine Erleuchtung. "Im Namen Gottes", sagt Mahmud Ahmadinedschad. Der iranische Präsident spricht vor den Vereinten Nationen, und es wird hell. "Ich spürte, wie sich plötzlich die ganze Atmosphäre veränderte", vertraut er später einem hohen Geistlichen an. Die Augen der Welt sind auf ihn gerichtet.
Die Staatschefs hören auf zu blinzeln, so glaubt er zu sehen, sie starren ihn an, allesamt, die Mächtigen, fast eine halbe Stunde lang. "Ich habe hingeschaut", sagt er, "sie waren überrascht, als ob eine Hand sie dort hält und zum Sitzen zwingt. Sie haben ihre Augen und Ohren für die Botschaft der Islamischen Republik geöffnet."
Gesicht für Konflikt um das Atomprogramm
Es sind diese Art von Eingebungen und der missionarische Eifer, die Mahmud Ahmadinedschad in aller Welt bekannt gemacht haben. Er hat dem Konflikt um das iranische Atomprogramm ein Gesicht gegeben. Er scheint der Wortführer zu sein, der Einpeitscher, der mit der Hand am Drücker.
Unter Hochdruck versucht die internationale Gemeinschaft seit Monaten zu verhindern, dass Iran technologisch fähig wird, eine Atombombe zu bauen - und damit den Nahen und Mittleren Osten in ein nukleares Wettrüsten stürzt. Am Freitag läuft ein Ultimatum des Sicherheitsrates aus. Hat Iran die Urananreicherung nicht wie gefordert eingestellt, könnte das Gremium Sanktionen gegen Teheran verhängen.
Aber an ein Einlenken denkt die iranische Regierung bisher nicht. Und wieder ist es Ahmadinedschad, der in der ersten Reihe steht. "Sie sollen weiter zornig bleiben und daran zu Grunde gehen!", schleuderte er dem Westen entgegen. Das ganze iranische Volk unterstütze das Programm, "vom fernsten Dorf bis zur Hauptstadt".
Ahmadinedschad blendet den Westen
So groß aber die Erleuchtungen Ahmadinedschads auch sein mögen: Er selbst ist ein kleines Licht - das es immerhin geschafft hat, den Westen zu blenden. Er ist es, der vor den Mikrofonen steht und Schlagzeilen produziert. Den "Irren von Teheran" hat "Bild" ihn getauft. Tatsächlich ist der Präsident weitaus machtloser, als sein Amt suggeriert. Er bestimmt nicht die Richtlinien der Politik und ist erst recht nicht Herr über das Atomprogramm. Und schon bald könnten die Mullahs ihn ruhig stellen.
Die Offenbarung vor der Uno hat sogar in der Heimat für Spott gesorgt. Niemand, der vor der Uno eine Rede halte, könne gleichzeitig auf die Augen der Führer der Welt achten, lästerte der iranische Abgeordnete Akbat Alami. Doch um Wahrheit geht es nicht, es geht um eine Mission. Ahmadinedschad will den Boden für den zwölften Imam bereiten, für Imam Mahdi, den Verborgenen, den Retter und Erneuerer des Islam, der Mohammeds Werk vollenden soll.
Iran soll ein Vorbild sein, eine globale Macht, die ihre Werte, Kultur, Religion in alle Welt exportiert. Die Atomenergie ist der Schlüssel dazu. "Ich erkläre förmlich, dass Iran dem Klub der Nuklearstaaten beigetreten ist", verkündete Ahmadinedschad vor zwei Wochen stolz vor Militärkommandeuren und Klerikern in der heiligen Stadt Maschad. Iranische Wissenschaftler sollen erstmals erfolgreich Uran für die Herstellung von Kernbrennstoff angereichert haben. Das macht Iran zwar noch keineswegs zur Atommacht. Doch die Prahlerei sorgte für erhebliche Unruhe.
Das politische System ist kompliziert
Der Ölpreis steigt seit Wochen von einem Rekordhoch zum nächsten. Unverblümt ist aus Teheran zu hören, dass man als zweitgrößter Exporteur der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) nicht nur den Hahn zudrehen, sondern auch den Seeweg der Öltanker blockieren könnte. Steigende Ölpreise seien "sehr gut", tönte der Präsident diese Woche, als der Preis für ein Barrel (159 Liter) Rohöl auf 75 $ kletterte. Jeder Anstieg um einen Dollar spült 1 Mrd. $ mehr in Irans Staatskasse.
Während der Westen gebannt an Ahmadinedschads Lippen hängt, sind die wichtigen Figuren ganz andere. "Mit bloßem Entsetzen machen wir uns allmählich lächerlich", sagt Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik, "das letzte Wort hat in außenpolitischen Fragen der Revolutionsführer und der Nationale Sicherheitsrat." Ahmadinedschads Vorgänger etwa, der Reformpolitiker Mohammed Chatami, hatte nur zehn Prozent seiner Gesetze umsetzen können. Der Rest wurde vom Wächterrat einkassiert.
Das politische System in Iran ist schwer zu durchschauen, eine komplizierte Mischung aus demokratischen und theokratischen Elementen. Parlament und Präsident werden vom Volk gewählt. Allerdings nur solche Kandidaten, die der Wächterrat genehmigt hat. Das Kontrollgremium ist eine Art Islam-TÜV, das alles auf seine Übereinstimmung mit islamischen Prinzipien hin überprüft. Kommt es zu Konflikten, vermittelt der Schlichtungsrat, eine der mächtigsten politischen Institutionen in Iran.
Geschickter Hampelmann mit Brachial-Rhetorik
Über allem schwebt Ali Chamenei, der oberste geistige Führer. Er bestimmt die Marschrichtung des Landes, ihm untersteht die Armee. Wollte er mit den USA reden, würde er es tun - egal welche feurigen Reden Ahmadinedschad gegen den "großen Satan" schwingt.
Eine weitere zentrale, aber unscheinbare Figur ist Ali Laridschani, der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, der Chamenei zur Seite steht. Laridschani ist ein schlauer Pragmatiker mit kühlem Kopf - er führt die Atomverhandlungen. "Laridschani ist weitaus mächtiger als Ahmadinedschad", sagt Wahid Wahdat-Hagh, Iran-Experte des Middle East Media Research Institute. "Im Vergleich zu ihm ist der Präsident nur ein Hampelmann."
Ein geschickter Hampelmann allerdings, der sich mit antiwestlichem Getöne in Szene setzt. "Er hat nicht die entscheidende Stimme, aber er ist der große Stimmungsmacher", sagt Iran-Kenner Reissner. Er ist der erste Präsident, der nach seiner Wahl beliebter ist als vorher.
Seine brachiale Rhetorik habe den ehemaligen Bürgermeister Teherans "zum politischen Führer gemacht", sagt David Menashri, Leiter des Zentrums für Iranische Studien an der Universität in Tel Aviv. "Er hat sich auf diese Weise als öffentliche Figur etabliert." Und nicht nur das.
"Führungsmacht der muslimischen Welt"
Den meisten Iranern ist Israel zwar relativ gleichgültig. Mit seinen Vernichtungsdrohungen und der beständigen Leugnung des Holocaust sammelt Ahmadinedschad Punkte in der arabischen Welt. "Es hat eine gewisse Logik", sagt Menashri, "wenn man Führungsmacht der muslimischen Welt sein will, muss man sich so verhalten."
Doch im konservativen Machtapparat beginnt es zu rumoren. Ahmadinedschad habe das Land international isoliert, lautet die Kritik. Das oberste Ziel, Zeit zu gewinnen für das Atomprogramm, ist in Gefahr. Hassan Rohani etwa, Laridschanis Vorgänger als Verhandlungsführer in Atomfragen, forderte diese Woche schon "eine ausgeglichenere, vernünftigere und weniger emotionale" Herangehensweise im nuklearen Konflikt mit dem Westen.
Viele konservative Pragmatiker stoßen sich an der Grobschlächtigkeit von Ahmadinedschads Äußerungen. Im Grunde sind die Iraner nämlich erfahrene und raffinierte Diplomaten. Sie haben als altes Handelsvolk schon persische Außenpolitik betrieben, als es die USA noch nicht einmal gab. Stets haben sie im Atomkonflikt hingehalten, taktiert, abgelenkt, sind erst im letzten Augenblick eingeschwenkt - und haben auf diese Weise das Optimale für ihr Atomprogramm herausgeholt: Zeit.
Religiöses Establishment bereits auf den Barrikaden
Noch nützt die Crashkurs-Politik des Präsidenten dem konservativen Lager mehr, als sie schadet. "Der Präsident hat Iran im Atomkonflikt so extrem positioniert, dass ein Kompromiss leicht zu verkraften ist", sagt Menashri. "Außerdem bewirkt Ahmadinedschad, dass Chamenei gut aussieht. Neben dem extremen Präsidenten wirkt der oberste geistige Führer geradezu moderat."
Schon bald aber könnten die Mullahs ihn bremsen. Möglicherweise sogar früher als erwartet. Berauscht von seiner Popularität hat der Präsident eine rote Linie überschritten: Anfang der Woche hat er erlaubt, dass auch weibliche Fans ins Fußballstadion dürfen. Dieses Vergnügen ist seit der Revolution von 1979 Männern vorbehalten.
Die Bevölkerung war begeistert, das religiöse Establishment aber ist bereits auf den Barrikaden. Vier Großajatollahs und ein Haufen konservativer Abgeordneter laufen Sturm gegen den drohenden Sittenverfall. Frauen dürften "Männerkörper nicht sehen, auch wenn sie daraus kein Vergnügen ziehen", donnerte Großajatollah Fazel Lankarani.
Der Fußballfan Ahmadinedschad scheint eines vergessen zu haben: In Iran haben immer noch die Mullahs das letzte Wort.
Mächtige Mullahs
Er schwebt über allem: Der oberste geistige Führer Ali Chamenei wurde auf Lebenszeit ernannt. Er bestimmt seit 1989 die politische Marschrichtung. Ihm untersteht die Armee, er ernennt Richter und die Hälfte des Wächterrates.
Mächtiger als der Präsident: Ali Laridschani ist Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates und damit Chefunterhändler der Iraner im Atomkonflikt. Er ist direkt Chamenei unterstellt. Der Hardliner gilt als kühler, aber unscheinbarer Pragmatiker.
Nur scheinbar Verlierer: Der ehemalige Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani war zwar bei der Wahl im Juni Ahmadinedschad in einer Stichwahl unterlegen. Als Vorsitzender des Schlichtungsrates hat er aber eine mächtige Position inne.
Bericht von Silke Mertins, Jerusalem, und Gareth Smyth, Teheran
Heute läuft das Uno-Ultimatum gegen Iran ab. Seit Monaten jagt dessen Präsident Ahmadinedschad dem Westen Angst ein. Doch er ist Einpeitscher, nicht Herr über das Atomprogramm. Inzwischen rumort es im Machtapparat.
Plötzlich spürt er dieses Licht um sich herum wie eine Erleuchtung. "Im Namen Gottes", sagt Mahmud Ahmadinedschad. Der iranische Präsident spricht vor den Vereinten Nationen, und es wird hell. "Ich spürte, wie sich plötzlich die ganze Atmosphäre veränderte", vertraut er später einem hohen Geistlichen an. Die Augen der Welt sind auf ihn gerichtet.
Die Staatschefs hören auf zu blinzeln, so glaubt er zu sehen, sie starren ihn an, allesamt, die Mächtigen, fast eine halbe Stunde lang. "Ich habe hingeschaut", sagt er, "sie waren überrascht, als ob eine Hand sie dort hält und zum Sitzen zwingt. Sie haben ihre Augen und Ohren für die Botschaft der Islamischen Republik geöffnet."
Gesicht für Konflikt um das Atomprogramm
Es sind diese Art von Eingebungen und der missionarische Eifer, die Mahmud Ahmadinedschad in aller Welt bekannt gemacht haben. Er hat dem Konflikt um das iranische Atomprogramm ein Gesicht gegeben. Er scheint der Wortführer zu sein, der Einpeitscher, der mit der Hand am Drücker.
Unter Hochdruck versucht die internationale Gemeinschaft seit Monaten zu verhindern, dass Iran technologisch fähig wird, eine Atombombe zu bauen - und damit den Nahen und Mittleren Osten in ein nukleares Wettrüsten stürzt. Am Freitag läuft ein Ultimatum des Sicherheitsrates aus. Hat Iran die Urananreicherung nicht wie gefordert eingestellt, könnte das Gremium Sanktionen gegen Teheran verhängen.
Aber an ein Einlenken denkt die iranische Regierung bisher nicht. Und wieder ist es Ahmadinedschad, der in der ersten Reihe steht. "Sie sollen weiter zornig bleiben und daran zu Grunde gehen!", schleuderte er dem Westen entgegen. Das ganze iranische Volk unterstütze das Programm, "vom fernsten Dorf bis zur Hauptstadt".
Ahmadinedschad blendet den Westen
So groß aber die Erleuchtungen Ahmadinedschads auch sein mögen: Er selbst ist ein kleines Licht - das es immerhin geschafft hat, den Westen zu blenden. Er ist es, der vor den Mikrofonen steht und Schlagzeilen produziert. Den "Irren von Teheran" hat "Bild" ihn getauft. Tatsächlich ist der Präsident weitaus machtloser, als sein Amt suggeriert. Er bestimmt nicht die Richtlinien der Politik und ist erst recht nicht Herr über das Atomprogramm. Und schon bald könnten die Mullahs ihn ruhig stellen.
Die Offenbarung vor der Uno hat sogar in der Heimat für Spott gesorgt. Niemand, der vor der Uno eine Rede halte, könne gleichzeitig auf die Augen der Führer der Welt achten, lästerte der iranische Abgeordnete Akbat Alami. Doch um Wahrheit geht es nicht, es geht um eine Mission. Ahmadinedschad will den Boden für den zwölften Imam bereiten, für Imam Mahdi, den Verborgenen, den Retter und Erneuerer des Islam, der Mohammeds Werk vollenden soll.
Iran soll ein Vorbild sein, eine globale Macht, die ihre Werte, Kultur, Religion in alle Welt exportiert. Die Atomenergie ist der Schlüssel dazu. "Ich erkläre förmlich, dass Iran dem Klub der Nuklearstaaten beigetreten ist", verkündete Ahmadinedschad vor zwei Wochen stolz vor Militärkommandeuren und Klerikern in der heiligen Stadt Maschad. Iranische Wissenschaftler sollen erstmals erfolgreich Uran für die Herstellung von Kernbrennstoff angereichert haben. Das macht Iran zwar noch keineswegs zur Atommacht. Doch die Prahlerei sorgte für erhebliche Unruhe.
Das politische System ist kompliziert
Der Ölpreis steigt seit Wochen von einem Rekordhoch zum nächsten. Unverblümt ist aus Teheran zu hören, dass man als zweitgrößter Exporteur der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) nicht nur den Hahn zudrehen, sondern auch den Seeweg der Öltanker blockieren könnte. Steigende Ölpreise seien "sehr gut", tönte der Präsident diese Woche, als der Preis für ein Barrel (159 Liter) Rohöl auf 75 $ kletterte. Jeder Anstieg um einen Dollar spült 1 Mrd. $ mehr in Irans Staatskasse.
Während der Westen gebannt an Ahmadinedschads Lippen hängt, sind die wichtigen Figuren ganz andere. "Mit bloßem Entsetzen machen wir uns allmählich lächerlich", sagt Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik, "das letzte Wort hat in außenpolitischen Fragen der Revolutionsführer und der Nationale Sicherheitsrat." Ahmadinedschads Vorgänger etwa, der Reformpolitiker Mohammed Chatami, hatte nur zehn Prozent seiner Gesetze umsetzen können. Der Rest wurde vom Wächterrat einkassiert.
Das politische System in Iran ist schwer zu durchschauen, eine komplizierte Mischung aus demokratischen und theokratischen Elementen. Parlament und Präsident werden vom Volk gewählt. Allerdings nur solche Kandidaten, die der Wächterrat genehmigt hat. Das Kontrollgremium ist eine Art Islam-TÜV, das alles auf seine Übereinstimmung mit islamischen Prinzipien hin überprüft. Kommt es zu Konflikten, vermittelt der Schlichtungsrat, eine der mächtigsten politischen Institutionen in Iran.
Geschickter Hampelmann mit Brachial-Rhetorik
Über allem schwebt Ali Chamenei, der oberste geistige Führer. Er bestimmt die Marschrichtung des Landes, ihm untersteht die Armee. Wollte er mit den USA reden, würde er es tun - egal welche feurigen Reden Ahmadinedschad gegen den "großen Satan" schwingt.
Eine weitere zentrale, aber unscheinbare Figur ist Ali Laridschani, der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, der Chamenei zur Seite steht. Laridschani ist ein schlauer Pragmatiker mit kühlem Kopf - er führt die Atomverhandlungen. "Laridschani ist weitaus mächtiger als Ahmadinedschad", sagt Wahid Wahdat-Hagh, Iran-Experte des Middle East Media Research Institute. "Im Vergleich zu ihm ist der Präsident nur ein Hampelmann."
Ein geschickter Hampelmann allerdings, der sich mit antiwestlichem Getöne in Szene setzt. "Er hat nicht die entscheidende Stimme, aber er ist der große Stimmungsmacher", sagt Iran-Kenner Reissner. Er ist der erste Präsident, der nach seiner Wahl beliebter ist als vorher.
Seine brachiale Rhetorik habe den ehemaligen Bürgermeister Teherans "zum politischen Führer gemacht", sagt David Menashri, Leiter des Zentrums für Iranische Studien an der Universität in Tel Aviv. "Er hat sich auf diese Weise als öffentliche Figur etabliert." Und nicht nur das.
"Führungsmacht der muslimischen Welt"
Den meisten Iranern ist Israel zwar relativ gleichgültig. Mit seinen Vernichtungsdrohungen und der beständigen Leugnung des Holocaust sammelt Ahmadinedschad Punkte in der arabischen Welt. "Es hat eine gewisse Logik", sagt Menashri, "wenn man Führungsmacht der muslimischen Welt sein will, muss man sich so verhalten."
Doch im konservativen Machtapparat beginnt es zu rumoren. Ahmadinedschad habe das Land international isoliert, lautet die Kritik. Das oberste Ziel, Zeit zu gewinnen für das Atomprogramm, ist in Gefahr. Hassan Rohani etwa, Laridschanis Vorgänger als Verhandlungsführer in Atomfragen, forderte diese Woche schon "eine ausgeglichenere, vernünftigere und weniger emotionale" Herangehensweise im nuklearen Konflikt mit dem Westen.
Viele konservative Pragmatiker stoßen sich an der Grobschlächtigkeit von Ahmadinedschads Äußerungen. Im Grunde sind die Iraner nämlich erfahrene und raffinierte Diplomaten. Sie haben als altes Handelsvolk schon persische Außenpolitik betrieben, als es die USA noch nicht einmal gab. Stets haben sie im Atomkonflikt hingehalten, taktiert, abgelenkt, sind erst im letzten Augenblick eingeschwenkt - und haben auf diese Weise das Optimale für ihr Atomprogramm herausgeholt: Zeit.
Religiöses Establishment bereits auf den Barrikaden
Noch nützt die Crashkurs-Politik des Präsidenten dem konservativen Lager mehr, als sie schadet. "Der Präsident hat Iran im Atomkonflikt so extrem positioniert, dass ein Kompromiss leicht zu verkraften ist", sagt Menashri. "Außerdem bewirkt Ahmadinedschad, dass Chamenei gut aussieht. Neben dem extremen Präsidenten wirkt der oberste geistige Führer geradezu moderat."
Schon bald aber könnten die Mullahs ihn bremsen. Möglicherweise sogar früher als erwartet. Berauscht von seiner Popularität hat der Präsident eine rote Linie überschritten: Anfang der Woche hat er erlaubt, dass auch weibliche Fans ins Fußballstadion dürfen. Dieses Vergnügen ist seit der Revolution von 1979 Männern vorbehalten.
Die Bevölkerung war begeistert, das religiöse Establishment aber ist bereits auf den Barrikaden. Vier Großajatollahs und ein Haufen konservativer Abgeordneter laufen Sturm gegen den drohenden Sittenverfall. Frauen dürften "Männerkörper nicht sehen, auch wenn sie daraus kein Vergnügen ziehen", donnerte Großajatollah Fazel Lankarani.
Der Fußballfan Ahmadinedschad scheint eines vergessen zu haben: In Iran haben immer noch die Mullahs das letzte Wort.
Mächtige Mullahs
Er schwebt über allem: Der oberste geistige Führer Ali Chamenei wurde auf Lebenszeit ernannt. Er bestimmt seit 1989 die politische Marschrichtung. Ihm untersteht die Armee, er ernennt Richter und die Hälfte des Wächterrates.
Mächtiger als der Präsident: Ali Laridschani ist Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates und damit Chefunterhändler der Iraner im Atomkonflikt. Er ist direkt Chamenei unterstellt. Der Hardliner gilt als kühler, aber unscheinbarer Pragmatiker.
Nur scheinbar Verlierer: Der ehemalige Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani war zwar bei der Wahl im Juni Ahmadinedschad in einer Stichwahl unterlegen. Als Vorsitzender des Schlichtungsrates hat er aber eine mächtige Position inne.
Bericht von Silke Mertins, Jerusalem, und Gareth Smyth, Teheran
carlos-allesia - 29. Apr, 10:45
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